Singulus: Erst entrechten, dann sanieren

Der gesamte Beitrag hier als PDF zum Ausdrucken: Singulus Gläubigerversammlung

Die Singulus Technologies AG lädt zur Gläubigerversammlung ein. Am 8. Oktober sollen die Anleihegläubiger über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters abstimmen. Sie sollen diesem gleichzeitig weitreichende Befugnisse einräumen. Ausdrücklich genannt werden folgende Befugnisse:

  • ausschließliche Ausübung aller Kündigungsrechte
  • Verzicht auf das Recht zur Kündigung bis zum 31.12.2016
  • Stundung der Zinsansprüche, die am 23.3.2016 fällig werden

Offen bleibt, ob noch darüber hinausgehende Befugnisse übertragen werden sollen. Der Wortlaut lässt dies vermuten:

„Der Gemeinsame Vertreter wird zur Geltendmachung der Rechte der Anleihegläubiger ermächtigt und bevollmächtigt.“

Und damit es keiner falsch versteht:

„Diese Ermächtigungen und Bevollmächtigungen sind im Zweifel weit auszulegen.“

Mit der sehr weitgefassten Formulierung besteht die Gefahr, dass der gemeinsame Vertreter alle Rechte ausüben können soll, die den Anleihegläubigern zustehen.

Unabhängig davon sind auch die ausdrücklich genannten Befugnisse viel zu weitgehend. Sie als Anleihegläubiger wären dann weitgehend entmündigt. Sie legen wesentliche Befugnisse in die Hand eines Dritten, ohne diesen zu kontrollieren und dessen Entscheidungsgründe nachvollziehen zu können. Warum sollten Sie dies tun?

Unsere Position hierzu ist eindeutig: Wir empfehlen, die Beschlussvorlagen abzulehnen.

Die Zustimmung zu den vorgeschlagenen Beschlussgegenständen erfordert eine gehörige Portion Vertrauen der Anleihegläubiger. Aber hat die Emittentin dieses Vertrauen verdient?

Der Zusammenhang

Bereits am 24.4.2015 musste die Singulus AG mitteilen, dass sie in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Aus einer ad-hoc-Mitteilung erfuhren die Investoren, dass millionenschwere Verluste aus dem Jahr 2014 mehr als die Hälfte des Grundkapitals aufgezehrt haben. Als Ausweg aus der Krise empfahl der Vorstand auf der Hauptversammlung am 9.6.2015 einen Kapitalschnitt von sechs zu eins. Dafür sollen die derzeit etwa 48 Millionen Aktien des Unternehmens auf etwa acht Millionen reduziert werden. Auf der Hauptversammlung wurde auch die Umwandlung der Singulus-Anleihe in Aktien (Swap) beschlossen.
Diese Abwertung sowie der Swap sind Voraussetzung dafür, dass es mit Singulus überhaupt weitergehen kann.
Die Gläubigerversammlung am 8. Oktober 2015 ist nur eine Vorbereitungshandlung zu diesem Kapitalschnitt.

Die Tagesordnung

Die Frage ist, ob man den vorgeschlagenen Punkten zustimmen und damit das Zepter aus der Hand geben sollte. Wir meinen nein. Lassen Sie uns dies anhand der einzelnen Beschlussvorschläge begründen:

Top 3 und Top 6: Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters und seine Befugnisse

Wir sind für den gemeinsamen Vertreter, wie er im Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) vorgesehen ist. Wir haben darum bei anderen Gesellschaften schon selbst aktiv die Einberufung von Gläubigerversammlungen durchgesetzt, damit ein gemeinsamer Vertreter gewählt werden kann. In der Vergangenheit wurde ich bereits in vielen Fällen zur gemeinsamen Vertreterin von Anleihegläubigern gewählt.

Hier aber soll das Institut des gemeinsamen Vertreters missbraucht werden. Die vorgeschlagenen Beschlüsse lassen erkennen, dass Singulus die Anleihegläubiger entmündigen möchte. Insbesondere soll ausschließlich der gemeinsame Vertreter die Kündigungsrechte der Anleihegläubiger ausüben dürfen. Damit versucht Singulus durch die Hintertür, Einzelkündigungen auszuschließen und nur noch Gesamtkündigungen zuzulassen. Der gemeinsame Vertreter nämlich kann die Rechte aller Gläubiger nur einheitlich ausüben. Wenn ihm das Kündigungsrecht übertragen wird, kann er nur für alle Anleihegläubiger einheitlich kündigen. Damit läge es in seinem Ermessen, wann die Laufzeit der Anleihe endet.

Das Problem der Gesamtkündigung

Diese Beschlussfassung läuft nicht nur Ihren Interessen zuwider. Sie verstößt zudem gegen das Schuldverschreibungsgesetz. Danach ist es zulässig, Einzelkündigungen in den Anleihebedingungen auszuschließen und stattdessen nur eine Gesamtkündigung zuzulassen. Das bedeutet aber nicht, dass wirklich alle Gläubiger zusammen kündigen müssten (das aber soll durch die geplante Beschlussfassung faktisch erreicht werden, auch wenn es so deutlich nicht gesagt wird). Das Schuldverschreibungsgesetz sieht in § 5 Abs. 5 vielmehr vor, dass für die Gesamtkündigung ein Quorum von max. 25 % vorgesehen sein darf. Wenn man den gesetzlichen Rahmen also ausschöpfen will, sind Kündigungen nur dann wirksam, wenn 25 % der Anleihegläubiger kündigen.

Singulus hat von der Möglichkeit, die Gesamtkündigung in den Anleihebedingungen festzuschreiben, keinen Gebrauch gemacht. Jetzt versucht sie, ihr Versäumnis nachzuholen und schlägt dabei gleich über die Stränge. Faktisch soll nur noch eine Gesamtkündigung mit einer Quote von 100 % möglich sein. Über eine Änderung der Anleihebedingungen kann Singulus das nicht erreichen. So versucht sie es durch die Übertragung der Gläubigerrechte auf einen gemeinsamen Vertreter. Wir haben erhebliche Zweifel, ob diese Umgehung einer Schutzvorschrift vor Gericht bestehen wird.

Aus diesem Grund verzichten wir auf eine Kandidatur. Der gemeinsame Vertreter soll die Interessen der Anleihegläubiger vertreten. Er soll nicht im Sinne des Emittenten handeln und dazu dienen, die Anleihegläubiger zu entmündigen.

Top 6 lit. a)

Dieser TOP nennt ausdrücklich die Stundung der Zinsansprüche als Befugnis des gemeinsamen Vertreters. Dies soll in sein freies Ermessen gestellt werden.

Nochmal: Ihr ökonomisches Kernthema, also der Grund, warum Sie die Anleihe gezeichnet haben, sind die Zinsen. Ob die gezahlt werden, soll nun in das freie Ermessen eines Dritten gestellt werden. Wollen Sie das wirklich?

Top 6 lit. b) und c)

Man müsste diese TOPs gar nicht im Detail besprechen, wenn sie sich selbst nicht so entlarven würden. Oberflächlich betrachtet hat die Übertragung der ausschließlichen Ausübung der Kündigungsrechte auf den gemeinsamen Vertreter kaum Relevanz, wenn die Gläubiger gleichzeitig den vorübergehenden Kündigungsverzicht bis zum 31.12.2016 beschließen, weil die Anleihe ohnehin drei Monate später ausläuft. Was soll da noch passieren? Eben, und genau das macht misstrauisch. Man hätte sich diesen Beschluss sparen können, wenn man nicht zu einem späteren Zeitpunkt die Laufzeit der Anleihe verlängern will. Und das könnte der gemeinsame Vertreter aufgrund seiner Ermächtigungen, ohne Sie zu fragen!

Top 4 und 5: Beschlussfassung über den vorübergehenden Verzicht auf die Kündigungsrechte

Hier soll bis zum 31.12.2016 das vertragliche – in den Anleihebedingungen geregelte – und das gesetzliche Kündigungsrecht ausgeschlossen werden.
Auch diese Beschlüsse sind eine Frechheit. Der Anleihegläubiger ist einem seiner Kernrechte – seinem Kündigungsrecht – beraubt. Das ist die einzige Möglichkeit, mit der ein Gläubiger auf die Verschlechterung der Vermögenslage seiner Schuldnerin reagieren kann. Darauf sollte man nicht ohne Grund verzichten.

Wir empfehlen, gegen diese beiden Beschlussvorschläge zu stimmen!!

Top 7 und 8: Neufassung der Anleihebedingungen

Auch dieser Tagesordnungspunkt lässt sich nicht wirklich nachvollziehen. Versäumnisse bei der Gestaltung der Anleihebedingungen sollen nunmehr im Nachhinein geheilt werden. Aber es verlaufen hier keine kritischen Linien. Man kann hier zustimmen.

Top 9: Notwendig für die Umsetzung der Tops 4, 5 und 6

Top 9 dient lediglich der Umsetzung der Tops4, 5 und 6. Da wir diese ablehnen, würden wir auch gegen den Umsetzungsbeschluss stimmen.

Zusammenfassung und Handlungsempfehlung

Wir empfehlen die Wahl eines gemeinsamen Vertreters. Aber nicht mit den vorgesehenen Befugnissen. Seine Aufgabe muss sein, zusammen mit dem Vorstand ein Restrukturierungskonzept zu erarbeiten, das dann den Anlegern zur Entscheidung vorgelegt wird. Einem Verzicht auf essentielle Gläubigerrechte im vorauseilenden Gehorsam sollte kein mündiger Anleger zustimmen!
Wir werden an der Gläubigerversammlung für unsere Mandanten teilnehmen und wie folgt abstimmen:
Top 3: Nein!
Top 4: Nein!
Top 5: Nein!
Top 6: Nein!
TOP 7 und 8: Ja
TOP 9: Nein!
Wenn Sie an der Versammlung nicht teilnehmen können, vertritt die Kanzlei Schirp Neusel & Partner Sie gerne kostenlos. Wir werden dann Ihre Stimme in diesem Sinne verwenden, sofern Sie uns nicht andere Weisungen erteilen. Alle Vollmachtgeber erhalten in den Tagen nach der Versammlung einen schriftlichen Bericht per E-Mail zugesandt.

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